Saisonbericht 2019 von Ronja Losert


Nach nicht sehr langem Überlegen hielt ich es für eine gute Idee mich am vergangenen Silvester in einem Vapiano in Berlin für den OstseeMan anzumelden. Das Projekt war gestartet. Lange Sonntagsläufe im Plänterwald wechselten sich mit harten Schwimmeinheiten in der Landsberger Allee ab. Zwischendurch sorgte ich mit drei Besuchen des Kraftraums pro Woche für hübsche Finisherbilder im Sommer. Mitte Januar bekam ich eine ominöse Whatsapp-Nachricht, in der ein gewisser Timo Petersen meine Kontodaten haben wollte. Kurz stutzig konnte ich am Ende mein Glück kaum fassen: Ich hatte bei einem Gewinnspiel gewonnen von dem ich nicht mal wusste, dass ich teilgenommen hatte! Unter allen Athleten, die sich an Silvester für den OstseeMan anmeldeten, wurden zwei gezogen, denen die Startgebühr zurückerstattet wurde. Das war ja eine schöne Überraschung! Das Jahr startete gut für mich. Insgesamt hatte ich in Berlin eine gute Zeit und konnte mich voll auf mein Training konzentrieren. Zwischendurch wurde ich von einem bösen Virus erwischt, der mich eine ganze Woche lang ins Bett packte. Diese Viren in Berlin scheinen hart zu sein. Beunruhigt wegen dem ausgefallenen Training war ich nicht, war ja noch ewig hin bis August. Mehr Sorgen bereitete mir eine schmerzende linke Schulter, die mein Schwimmtraining sabotierte. Auf Heimatbesuch legte da der Physio meines Vertrauens Hand an. Irgendwas an meinen Halswirbeln war falsch – Knacks, das war’s. Es konnte weitergehen! Anfang März kam ich wieder in die Heimat zurück und flog im April über Ostern ins Trainingslager nach Mallorca. Das Wetter spielte Anfangs mit, später kamen der Ostersturm und damit auch ein lästiges Kratzen im Hals. Vorsichtshalber setze ich die letzten drei Tage aus. Das nervte mich nicht minder, sollte ich doch noch einmal ordentlich Kilometer schrubben! Beim Blick aus dem Hotelzimmerfenster auf das aufgepeitschte Meer war es aber verkraftbar.

Nun standen eine ganze Reihe Vorbereitungswettkämpfe an. Neben einigen kleineren waren es vor allem die Mitteldistanzen in Heilbronn und Maxdorf auf denen der Fokus lag. Ich wählte die zwei Wettkämpfe aus, da bei beiden die Radstrecke anspruchsvoll war – und beide hatte ich auch noch nicht gemacht. Den schönsten Wettkampf absolvierte ich im Schwarzwald am Schluchsee, absolute Empfehlung! Was für eine traumhafte Kulisse!

Doch der Grundstein für den OstseeMan wurde natürlich im Training gelegt. Es waren lange Trainingstage. Teilweise wirklich sehr lange Tage. Ich erinnere mich an eine Woche, da gab’s Freitag einen Brückentag. In dieser Woche habe ich rund 24h trainiert. Genau habe ich das nicht gezählt. Als ich mich für den Ironman angemeldet habe wusste ich, dass es hart wird. Es hat sich bewahrheitet. Ich habe mal in einem Forum gelesen, dass man zwei Ironman macht: Den eigentlichen Wettkampf und das Training dafür. Dem würde ich absolut zustimmen. Ich meine, das Training hat viel Spaß gemacht, obwohl ich den überwiegenden Anteil alleine absolviert habe. Es hatte was von Romantik abends mit dem Rennrad in den Sonnenuntergang Richtung Heimat zu rollen. Da waren aber auch knüppelharte Sachen, die im Kopf viel verlangt haben. Trotzdem habe ich mich nie wie andere gefragt: Warum machst du das? Für mich war das immer klar. Ich kann jedoch nicht abstreiten, dass ich viel für das Training geopfert habe. Es ist einleuchtend, dass man bei dem Trainingsaufwand und einer Vollzeitstelle ein Organisationstalent sein sollte, um neben dem Sport noch etwas zu haben. Stressresistenz hilft da auch weiter. Die Wochen flogen im Sommer nur so dahin. Glücklicherweise blieb ich neben den Wehwehchen in Berlin und auf Mallorca verletzungsfrei. Ich denke, dass das sehr wichtig im Kopf für mich war, keinen langen Ausfall zu haben. Irgendwann war es dann wirklich soweit: Es wurde getapert, noch zwei Wochen bis zum OstseeMan. Taperwochen sind immer komisch. Auf einmal hat man viel mehr Zeit, weil das Training weniger beansprucht. Das bin ich dann gar nicht mehr gewohnt. Ich habe das Beste daraus gemacht, noch ein paar Ersatzteile bestellt und bin mit einer halben Fahrradwerkstatt nach Flensburg gefahren. Von Nervosität war donnerstags noch keine Spur. Ich fühlte mich ready, in mir wartete der Tiger in einem Käfig, der losgelassen werden möchte. Ein Tiger mit Kompressionsstrümpfen. Ich hausierte in Flensburg, 15 min Fahrt von der Austragungsstätte Glücksburg entfernt. Samstags ging’s zum Bike-Checkin. Dort traf ich erstmals Timo in live. Dann noch ein bisschen auf der Expo gestöbert, noch schnell das Warm-Up abgerissen und dann ging‘s zur Wechselzone, Bike einchecken. Nervosität? Nein. Es wurde danach ein Strandkorb angemietet und sich von einer alteingesessenen Dame ein Crashkurs in Sachen Quallen geben gelassen. Brennen würden nur die roten – Aha, also mal geschaut. Irgendwie war keine rote in Sicht. Kann ja gut werden morgen, dachte ich mir. Gibt anscheinend nicht so viele von denen. Noch schnell auf die Wettkampfbesprechung gegangen, festgestellt, dass die Pasta-Party am Vorabend war (Warum?!) und dann in Flensburg ein ,,paar‘‘ Nudeln vertilgt. Nervös? Fühlt sich an als käme da was Riesiges auf mich zu. Dann ging’s zurück ins Hotel zum Schlafen. Eine unruhige Nacht mit Übelkeit und Erbrechen ließ mich morgens etwas neben der Spur aufwachen. Was war das? Kann ich starten? Bloß nicht zweifeln! Angezogen, Frühstück mitnehmen, das liebevoll aus Supermarkt-Brötchen, Bananen und geklauten, abgepackten Nutella-Portiönchen vom Frühstück bestand, und ab in die Wechselzone letzte Vorbereitungen treffen. Wo war eigentlich meine Begleitung mit dem Neo hin? Scheisse! Panik 20 min lang. Nach Auffinden der zuständigen Neo-Halte-Person habe ich sie erstmal kräftig angefaucht bevor ich das Ding anzog (Sorry!). Ein paar Minuten vor dem Start ging ich dann Richtung Strand. Viel ging mir nicht durch den Kopf. Ich verkniff mir Gedanken an das Radfahren und den Marathon. Das Wasser war brettflach und der Himmel wolkenfrei, nur am Horizont über Dänemark war eine Wolkendecke. Mir wurde mal der Rat gegeben, erst eine Minute vor dem Start nervös zu werden. Und jetzt war ich das auch. Zweifel am Finish hatte ich immer noch keine.

Der Countdown lief runter und ehe ich mich versah schwamm ich mit ein paar hundert Startern Richtung erste Boje. Die Schlägerei hielt sich in Grenzen. Es war episch in der Ostsee dem Sonnenaufgang entgegen zu schwimmen. Ich erinnerte mich an meine langen Schwimmeinheiten in Berlin und in Mombach und dass es ja gerade ungefähr die gleiche Uhrzeit war. Bald erreichte ich das Ende der langen Seite des Rechtecks und bog quasi Richtung Ufer ein. Dort traf ich eine Quallenherde an. Einige traf ich mit meinen Händen, es war zum Glück keine Feuerqualle dabei. Auch wenn die bis dahin alle ungefährlich waren konnte ich gut und gerne auf die Berührung verzichten. Dank Ostsee ließ es sich nicht umgehen. Die Kinder werfen sich die Dinger übrigens am Strand hin und her, sodass die in der Luft zerreißen. Ich bog auf die zweite Runde ein. Die Wolkendecke von Dänemark schob sich weiter Richtung Deutschland. Ich war noch nicht wieder bei meiner heißgeliebten Quallenherde angekommen da zog es komplett zu und Wind kam auf. Zu allem Überfluss schwamm ein prachtvolles rotes Quallenexemplar unter mir hindurch. Oh ne! Ich bog wieder Richtung Ufer und sah meine alten Freunde wieder. Jemand neues war hinzugekommen, Mr. Feuerqualle. Auch an dieser kam ich vorbei. Auf dem Rückweg Richtung Steg sah ich noch so ein farbenfrohes Tier. Der Rückweg fühlte sich wegen dem Gegenwind und der Wellen ewig lange an, ich kam gefühlt gar nicht vorwärts. Endlich bog ich links ein und sah den Ausstieg. Fast geschafft! Nun lag der Strand endlich vor mir. Noch einmal den Kopf aus dem Wasser hoch zur Orientierung und Vollgas vorau…….AH! In your face. Ohne diese Qualle überhaupt gesehen zu haben erwischte die mich volle Kanne im Gesicht und zog mit ihrem Faden einmal schön über beide Wangen, vor allem aber links. Meine Füße hatte sie auch noch mitgenommen, dort fühlte es sich eher an wie eine Brennnessel. Ich wollte nur noch raus raus raus. Dann stieg ich aus der See und meine Uhr bestätigte mir mein mieses Gefühl auf dem Rückweg. Ich wischte ein paar Mal über meine Wange und schaute, ob es blutete. Natürlich war das nicht der Fall.

Ich lief Richtung Wechselzone, noch nicht so richtig im Klaren darüber, was ich von alledem halten sollte. Ich nahm mir meinen Beutel und setzte mich ins volle Zelt. Da kam eine Helferin. Ich sagte, dass ich von einer Qualle im Gesicht getroffen wurde und ob was dagegen da wäre. Sie fragte und ihr wurde nur entgegengebracht, dass kein Rasierschaum da wäre. Ich wusste gar nicht, dass Rasierschaum dagegen hilft. Auf dem Weg zum Rad wurde ich richtig sauer über dieses üble Brennen. Der Fahrtwind sollte etwas Kühlung und Abhilfe schaffen. Die ersten 120km gingen ganz gut weg. Ich hielt mich streng an meinen Ernährungsplan und schaute mir immer wieder vorbeifahrende schicke Räder an. Insgesamt konzentrierte ich mich stark beim Radfahren. Zwei technische Defekte brachten mich kurz aus dem Tritt, als mein Sattelflaschenhalter sich verabschiedete und ein anderes Mal die Kette abfiel. Den abgebrochenen Halter inklusive Flickmaterial gab ich einem Sani, der das Ding anscheinend nie der Rennleitung gegeben hat trotz ausdrücklicher Bitte und Zusage. Von nun an war in Runde 3 ohne Flickzeug unterwegs. Darüber dachte ich nicht nach, es würde mich nur ängstlich machen. Nach dem Kettenkracher an einem Berg wurde ich von einem Zuschauer wieder angeschoben. Tour de France Feeling! War eine witzige Erfahrung. Insgesamt waren sechs Runden à 30 Km zu fahren. Als ich in Runde fünf bog hätte ich auch gerne schon in die Wechselzone gekonnt und beim nächsten Mal über die Zeitmatte war es nochmal schwieriger. Schwerer werdende Beine machten es mental nicht einfacher.

Ich hielt mich zu dem Zeitpunkt mit dem Gedanken über Wasser, dass ich es auf jeden Fall zum Laufen schaffen wollte, damit ich wenigstens ,,eine Chance hatte‘‘. Innerlich wusste ich, dass es eine reine Kopfsache werden würde. Den zwei Mädels am zweiten Verpflegungspunkt hatte ich in Runde 5 gesagt, dass ich noch einmal vorbeikomme. Daran biss ich mich fest. In der letzten Runde waren es von dort aus nur noch rund 15 km. Endlich sah ich die zwei fröhlichen Gesichter. Mein Garmin zählte fleißig und ich stieg nach gut 180 Km in knapp unter 6h (5:57:15 Stunden) vom Rad. Das hätte sicher ein paar Minuten besser sein können ohne den Kram mit dem Halter und der Kette, aber so lief es. Ich war zufrieden mit der Zeit, mein Mindestziel einen 30er Schnitt zu fahren war erreicht. Wer denkt, da oben wäre es flach, der irrt. Der Kurs hatte immerhin 1200 Hm! Dann war es endlich nur noch der Marathon. Mir wurde vor dem Wettkampf geraten, das Laufen nicht zu wild anzugehen. Mit dem Gedanken ging ich auf die Laufstrecke. Erstmal raus aus dem ganzen Trubel die Küstenlinie hoch! Mein Garmin piepste mich an: 05:22min/km. Das fühlte sich locker an. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass ich mit Sicherheit noch langsamer werden würde. Für den Moment würde das Tempo stimmen. So lief ich dahin und futterte fleißig nach Plan. Am Ende der zweiten Laufrunde sprach ich zu meinem persönlich angereisten Fan, dass, wenn ich das Tempo noch eine Runde laufen könnte, zufrieden wäre. Ich wurde erhört. Drei Runden lang, 24km, lief ich zwischen 5:15min und 5:30min pro Km. Am Ende der dritten Runde glaubte ich ernsthaft daran, das so durchziehen zu können. Rumms. Bei Km 26 kam der Mann mit dem Hammer. Die beiden Km davor baute ich schon ab, schob es aber auf zwischenzeitliche Kurzzeitschwäche.

Ab Km 26 dümpelte ich dahin. Ich hatte mir mal sagen lassen, dass ein Ironman erst ab Km 30 im Marathon beginnt. Bei mir begann er bei Km 26. Im Kopf probierte ich es mit rückwärts zählen. Noch 16Km ins Ziel. Der Satz einer älteren Dame an der Verpflegung auf der vorletzten Runde ,,Du siehst ganz schön kaputt aus‘‘ half mir nicht wirklich weiter. Innerlich war ich zu dem Zeitpunkt frustriert, so einzuknicken. Ich hatte doch gar nicht überpaced?! An den Verpflegungsstationen ging ich, dazwischen lief ich. Der ominöse Fan rief mir zu, dass ich sechste oder siebte Frau sei. Der hat wohl Altersklasse gemeint! Vor mir bog ein Athlet auf den Zielkanal ein, ich musste noch einmal vorbei auf die letzte Runde. Das tat schon weh im Kopf, auch in den Beinen, aber vor allem im Kopf. Da sah ich vor mir zwei Frauen. Ha! Ich hatte schon zwei Frauen auf der Laufstrecke überholt und die würde ich auch noch kriegen. Ich sammelte alles in mir und los ging’s. Die Küste hoch war Rückenwind. Bald erreichte ich die erste Frau. Die genaue Anzahl der Rundenbändchen konnte ich nicht erkennen, entweder die letzte oder vorletzte Runde. In dubio pro meine Mentalität zählte ich sie für die letzte Runde auf der ich mich ja auch gerade befand und lief vorbei. Die zweite Frau war schwerer zu knacken. Auch sie überholte ich irgendwann nach mühseligem heranarbeiten. Und sie blieb erstmal an mir dran. Die war hartnäckig! Wir wussten beide, dass das ein Positionswechsel war und wir beide auf der letzten Runde sind. Kurz vor einem leichten Anstieg zog ich an, bewegte mich laufend an der Station mit der älteren Dame vorbei und drehte mich um. Eine kleine Lücke tat sich auf. Ich lief einfach weiter so viel noch ging. Vor dem anstehenden Wendepunkt versuchte ich darüber nachzudenken was ich tun würde, wenn sie noch an mir dran wäre. Ich war platt zu dem Zeitpunkt. Viel denken konnte ich zum Glück nicht mehr. Sie tauchte nicht auf, erst als ich rechts einbog und der Strecke weiter folgte. Das waren bestimmt 300-350m! Trotzdem entspannte ich mich erst wieder im Zielkanal. Dieses kleine Battle half mir enorm auf der letzten Runde. Voller Freude torkelte ich der Ziellinie entgegen. Die Uhr blieb für mich an diesem Tag bei 11:31:55 Stunden stehen. Timo legte mir die Medaille um den Hals und umarmte mich. Anscheinend schien ich nicht so sehr zu stinken. ,,Remember the moment you’ve earned it‘‘ stand darauf.

Ein krasser Tag, der um halb sieben abends mit dem Finish endete. Im Ziel war genau das eingetreten, was ich erwartet hatte: Ein Finish in recht passabler Zeit. Zwei Nächte vor dem Wettkampftag hatte ich von dem Zieleinlauf geträumt und ein sehr stolzes Gefühl gehabt. Nun, in der Realität, fühlte es sich nicht so an. Ich fühlte mich eher ,,komplett‘‘. Es war alles nach Plan gelaufen – schön, wenn Pläne funktionieren. Ich sammelte meinen Kram ein, duschte und machte mich zur Siegerehrung, denn ich war die erste in meiner Altersklasse – und beschämenderweise die einzige. Insgesamt hatte ich tatsächlich den sechsten Platz belegt.

Rückblickend war das Ganze eine aufregende Zeit und ein spannendes Eigenexperiment. Ein großer Dank gilt all den Menschen, die mich in dieser Zeit unterstützt haben und die viel auf mich verzichten mussten. Ohne die Toleranz und Rücksichtnahme auf mich und meine dauerhafte Müdigkeit hätte ich es bestimmt nicht geschafft.


Videos:


VIDEO - ZIELEINLAUF

VIDEO - SCHWIMMAUSSTIEG (auf der Höhe des zweiten gelben Mannes rechts)


Nun heißt es ,,dann satteln wir mal die Hühner‘‘ und ab geht’s in die Saison 2020!